Reinhard Mey begeistert auf seiner 60-Städte-Herbst-Tournee “Dann mach’s gut”. Einblicke aus drei Konzerten.
CELLE – BRAUNSCHWEIG – HANNOVER. Bei Reinhard Mey die Kirche im Dorf zu lassen würde heißen, den melodischen Götterboten, Schamanen der klangschönen Poesie nicht zu benennen. Gleichsam schwingender Materie bringt der 71-jährige Liedermacher Bilder zu Gehör. Wäre er nicht auch ein äußerlich charmanter Mann, müsste man dieses Medium als Schallwelle aus paradiesischen Gärten beschreiben: so voll ist seine klingende Stimme, so sinnestief seine gemalten Texte. Geschichten, in denen sich alles spiegelt, die jeder kennt und bei denen sogar jene, die nicht zu sprechen vermögen, ihr Innerstes in Sanftmut hören. Nichts ist Hohn, nichts ist Zorn. Mit der Milde des Waisen betrachtet sich der “komische Vogel mit dem schwarzen Gefieder”, seine Wege und die Welt. Ergraut aber hellwach, verträumt und glasklar, beäugte und beäugt Mey jeden Schritt seiner Kinder, seiner Lieben und all der Menschen um ihn herum.
“Vaters Mantel” und “Lilienthals Traum”
Stark und immer noch stärker tritt die Kraft und Lebensklugheit zu Tage: “Vaters Mantel”, “Lilienthals Traum”, “Ich liebe dich” und die Hommage an seinen Freund, den Wein sind ebenso mitreißend sinnlich wie “Fahr dein Schiffchen durch ein Meer von Kerzen”, die der dreifache Vater für sein 2012 geborenes Enkelkind schrieb. Jene Momente, in denen Mey die Fußstapfen und eigenen Pfade seiner Kinder beschreibt gehen unter die Haut und so tragisch es ist, auch seine Abschiedslieder an seinen viel zu früh von dieser Erde gegangenen Sohn. Was Mey ausmacht, ist seine warme, liebende und über alle Weltmeere und Zeiten hinwegschauende Reflexion. Er singt nicht, er predigt. Still halten die Zuhörer inne, schauen mit dem Mann an der Gitarre in sich hinein. “Freunde” nennt er sie und zählt sich zu ihnen. Der Mann gibt Zuversicht, macht Mut. Jedes seiner Lieder, seiner gesungenen Botschaften gleichen einem Liebesakt: bedingungslos zärtlich nimmt er sich jedes Augenblickes, jeder Zeile an.
Die Zerbrechlichkeit des Spielmanns
Mit der Zerbrechlichkeit wie der Federleichtigkeit eines Spielmanns, mit der Schwere des Tiefsinns, ähnlich der glückseligen Berauschtheit beim Genuss von Wein, spricht Mey, der gern direkt Narren und Narrenschiffe kritisiert, Menschen unter jeglichem Gewande an. Der Barde mit der authentischen Stimme und der ehrlichen Technik im Gepäck lädt ein auf Reisen zu gehen, zu träumen von der Wahrheit der Gefühle und einem Leben ohne allen Schabernack. Von Blumen und vom Himmelwärts steigen, vom warmen Kuchen und dem mit jedem Schritt größer werdenden Wunsch, es wäre noch einmal viertel vor Sieben und man kehrt abends nach Haus. “Wie Drachen, die hoch übers Stoppelfeld steigen, tanzt du über meinen Sinn, schwerelos, frei, und mit dem Reigen fliegt auch alle meine Traurigkeit dahin”, singt Mey in “Kleiner Kamerad” und sowohl er wie auch seine Zuhörer wissen, es ist nicht schmachvoll, wenn man weint. So ist es eben, so ein Leben. Kleine Leute werden groß und ein wehleidig feuchtes Auge bleibt zurück. In diesem Boot der traurig-hoffnungsfrohen Reise sitzen wir alle drin.
“Laß nun los das Ruder”
Hip Hop unter der Schlumpfenmütze ist jung, ist cool. Die letzten Antworten vermag es jedoch nicht zu tragen, denn die sinnieren leis? und unbegleitet vor sich hin. Nur das haptisch Gezupfte, die Unmittelbarkeit der Hand, klingt nach Berechtigung. Auch die Beichte nimmt uns ein ausgefeiltes Soundsystem nicht ab. Lediglich der hörbare Atemzug lässt erahnen, was einen Menschen wahrhaft bewegt. “Und der Wind wird weiter wehn, und es dreht der Kreis des Lebens, und das Gras wird neu entstehn, und nichts ist vergebens”, besingt Mey in “Laß nun los das Ruder” seinen untragbaren Abschiedsschmerz. Wie mag jemand so sanft und demütig die Lasten des Lebens tragen, fragt man und möchte den Mann, dem der vogelfreie Flug ins Sonnenlicht höchster Hoffnungsträger ist, kennen lernen, nahe sein. Diese Treue seiner Fans, die mit ihm bereit sind, für ein Weilchen vom Boden abzuheben, belohnte Mey mit einem Klassiker, den es “nur alle zehn Jahre einmal gibt”.
Die Herztöne aller Weltgefühle
“Über den Wolken” dieses Lied sei stets gut zu ihm gewesen. Darum schone er es, erklärte Mey, stimmte seine Gitarre und hob ab in die magischen Sphären, die bewunderte Einsamkeit einer von Scheinwerfern und Publikumshingabe erwärmten Bühnenluft. Und wieder beginnt der Zauber zu wirken. Wieder ist es dieses alles erschütternde Gefühl aus zeitgleichem Wehmut und Maikäferglück. Mey schafft es in jedem Lied. Behutsam und wunderbar nimmt er die steifsten Gerüste auseinander und offenbart die Herztöne aller Weltgefühle. Er legt sie frei, diese kleine Seele, beschützt nur durch den Duft und die Weichheit eines Taschentuchs. Und allein mit seiner Gitarre, schwarzgestiefelt, mit funkelnd, braunem unbeugsamem Outlaw-Blick verkündet Mey trotz ausverkaufter 60-Städte-Tournee: Der Zenit komme erst noch. Na Gott hab dank für den Schelm in seinem Nacken. Mit “Gute Nacht Freunde”, den alle beseelt gemeinsam sangen, verabschiedete sich Mey – die Gitarre hoffentlich noch lange fest im Griff.
Aneka Schult